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Graues Riesenkänguru
Graues Riesenkänguru (Macopus giganteus = Eastern Grey Kangaroo) im Warrumbungle Nationalpark

Bipede Fortbewegung bei Kängurus (Bipedie):

In allen Erdteilen benutzen Säugetiere alle 4 Beine zur Fortbewegung, nur nicht in Australien. Die Kängurus (die Gruppe der Macropodinae) hüpfen und springen auf den beiden Hinterbeinen. Sie sind Zweibeiner geworden. Warum nur?

Durch ihre außerordentlichen Sprungeigenschaften ( bis zu 3m hoch und 12m weit) können Kängurus auf der Flucht sehr schnell eine hohe Geschwindigkeit erreichen und diese auch in einem hindernisreichen Gelände halten.

Sprunghöhe und -weite ergeben sich aus der Kraft der Beine und der Länge der Kraftwirkung, der sogenannten Federstrecke im Verhältnis zum Körpermasse. Je größer das Körpergewicht wird, desto größer muss die Kraft werden. Deswegen ist die Körpermasse für springende Tier nach oben hin begrenzt, wobei die großen Kängurus mit ca. 90kg diese Grenze erreichen.

Betrachten wir den Zusammenhang zwischen Muskelkraft und Körpermasse genauer:
Die Kraft eines Muskels hängt hauptsächlich  von der Zahl aller sich kontrahierenden Muskelfasern und damit vom Querschnitt des Muskels ab (wenn wir von einigen Tricks, die die Natur "auf Lager hat", absehen). Bei einer Verdoppelung des Radius des Muskelquerschnittes vergrößert sich dessen Kraft im Quadrat.

Da der Muskel aber gleichzeitig ein Volumen hat, ändert sich dessen Masse im Kubik.

In der Physiologie hat das zwangsläufig weitere Folgen: Wenn die Masse eines Muskels und damit seine Leistungsfähigkeit erhöht wird, müssen auch alle Organe, die die Muskeln versorgen, ihre Leistung steigern, d.h. alle inneren Organe von der Lunge bis zum Verdauungssystem benötigen eine Leistungssteigerung, was nur durch eine Vergrößerung von deren Masse möglich ist. Zusätzlich müsste das Skelettsystem an die größere Kraftwirkung angepasst werden, was wiederum zu einer Vergrößerung des Gewichtes des Skelettes führen würde.

Wegen dieser Zusammenhänge ist die Körpermasse von springenden Tieren nach oben hin begrenzt, kleine leichte Tiere springen verhältnismäßig höher und weiter als große.(Bekannt ist das Beispiel des Flohs.)

Zur Vergrößerung der Federstrecke ist der Fuß länger geworden und bei schneller Fortbewegung berühren nur die Spitzen der Zehen den Boden (ähnliche - analoge, konvergente - Entwicklung bei Huftieren).
Die Zehenzahl ist verringert - der 4. Zeh ist stark vergrößert und dient zum Abdrücken beim Sprung, der 5. Zeh sorgt für das Halten der Balance, 2. und 3. Zeh verschmelzen auf merkwürdige Art und dienen der Fellpflege, der 1. Zeh fehlt ganz.

Flinkwallaby im Sprung
Flinkwallaby in schneller Flucht (in der Nähe von Cooktown, QLD)

Gründe für die Evolution der zweibeinigen springenden Fortbewegung?

Zum Springen müssen alle Beine gleichzeitig den Körper vom Boden abgedrückt werden. Der Körperschwerpunkt muss schnell unter die Hauptvorschubkraft gelangen. Das funktioniert bei Zweibeinern ganz von selbst. Zum Ausbalancieren wird ein langer Schwanz benutzt. (Letzterer ist anscheinend nicht unbedingt von Nöten, was Menschen und Frösche beweisen.)

Die riesige Muskelmasse der Hinterbeine liefert die nötige Kraft. Die erforderliche Energie für die Muskelkontraktion liefert dabei die Verbrennung von Glucose mit Hilfe von Sauerstoff (Zellatmung oder Dissimilation). Nun wird bei wiederholten Sprüngen so viel Sauerstoff verbraucht, dass der Nachschub nicht nachkommt. Der Muskel wechselt zur Gewinnung von Energie ohne Sauerstoff, zur Gärung, über, wobei Milchsäure anfällt und sich anhäuft. Letztere führt zur Ermüdung des Muskels (Mensch am Ende eines 100m Laufes). Weiterhin werden bei der Gärung nur geringe Energiemengen gewonnen im Vergleich zur oxidativen Energiegewinnung (Abbau der Glucose mit Sauerstoff = Dissimilation).

Dieses Problem haben die Kängurus durch Ausbildung ihrer Hinterbeine zu Sprungfedern gemeistert. Dadurch wird ein großer Teil der Aufprallenergie beim Sprung gespeichert (bei "normalen" Vierfüßern geht sie als Wärme verloren) und wird für den nächsten Sprung genutzt.

Veranschaulichen wir uns das. Beim Absprung schnellt ein Känguru mit beiden Hinterbeinen gleichzeitig vom Boden ab (siehe Fotos), schwingt diese weit vor und setzt sie weiter voraus wieder auf. Die Aufprallenergie ist aber so hoch, dass normal gebaute Beine brechen würden. Bei den Kängurus werden die Hinterbeine beim Aufprall in den Gelenken eingeknickt und die auftretenden Kräfte werden durch Organe mit elastischen Eigenschaften abgefangen. Das sind im Wesentlichen die Sehnen - besonders die Achillessehne -, die wie ein Bungee-Band gedehnt werden können. Die Sehnen ziehen sich danach wieder zusammen, geben die gespeicherte Energie ab und sorgen dafür, dass die Beine sich wieder strecken, wodurch der Körper des Tieres sich vom Boden zum nächsten Sprung abhebt.

Die Sprungleistung wird also hauptsächlich durch die Federwirkung der Sehnen bewirkt, was natürlich keine Energie kostet. Aber es treten wie bei jeder Energieumwandlung Energieverluste auf, die durch Muskelkraft wettgemacht werden müssen. (Die Größe der Verluste wird je nach Autor sehr unterschiedlich angegeben.)

Bei Versuchen mit "normalen" Säugern auf dem Laufband steigert sich bei steigender Geschwindigkeit (über 30km/h) der Sauerstoffverbrauch (ein Maß für den Energieverbrauch) auf das Mehrfache an, während der Energieverbrauch bei Kängurus praktisch gleich bleibt.

Vorderbeine, Aufgaben

Durch die Spezialisierung der Hinterbeine auf die schnelle Fortbewegung konnten die Vorderbeine andere Aufgaben übernehmen: Greifen, Hilfe bei der Nahrungsaufnahme, Fellpflege (siehe Bilder ganz unten) und nur als Nebenaufgabe bleibt das Abstützen bei langsamer Fortbewegung. In der Evolution kam es zur Verkleinerung, weil dadurch der Bauaufwand geringer gehalten werden konnte. Gleichzeitig blieben in der Evolution alle fünf Finger mit ihren Krallen erhalten.

Langsame Fortbewegung beim Flink-Wallaby
Langsame Fortbewegung beim Flinkwallaby (Cape Hillsborough) , man erkennt den Einsatz des Schwanzes -- Foto: M.+K.Thiele

Vorteile der Bipedie bei Kängurus:

Die Notwendigkeit schneller Flucht kann aber nicht Ursache der Entwicklung zur Zweibeinigkeit bei den Kängurus sein. So sind vierbeinige Gazellen z.B. genauso schnell. Vor wem sollten denn auch die großen Kängurus fliehen? Der Beutelwolf als größtes Landraubtier in Australien war nicht geeignet einen ausreichenden Selektionsdruck entstehen zu lassen und auch nicht der erst spät importierte Dingo.

Etwas ganz anderes war wohl entscheidend. Durch die Federkonstruktion der Hinterbeine müssen Muskeln nicht die Hauptarbeit leisten, sie erwärmen sich kaum und müssen nicht gekühlt werden. Das spart große Mengen an Wasser, da sonst Wasser beim Atmen verdunstet werden muss, um Verdunstungskälte zu gewinnen.

Nun ist gerade Australien seit vielen Millionen von Jahren der trockenste Kontinent mit ausgeprägten Steppen und Savannen. Große Strecken mussten und müssen von den Tieren zum nächsten Wasserloch und zur nächsten Weidefläche (frisches Gras, das nach einem örtlich begrenzten Gewitterregen gewachsen ist) zurückgelegt werden. Durch die Sprungfähigkeit der Kängurus schaffen sie dieses ohne große Wasserverluste.
Die Trockenheit dieses Kontinentes hat also die Entwicklung eines zweibeinigen Springens notwendig gemacht.
Das Vorkommen des zweibeinigen Springens bei anderen Säugern zeigt, dass diese Fortbewegungsart eine Anpassung an das Leben in ariden Gebieten ist: So kommen die Springmäuse in der Sahara und die Kängururatten in den wüstenartigen Trockengebieten Amerikas vor.

Nachteile der Bipedie:

In Kauf genommen wird bei dieser Spezialisierung, dass eine langsame Fortbewegung (bei Kängurus sogar "fünfbeinig", da der Schwanz* quasi als fünftes Bein wirkt) mehr Energie kostet als bei Vierbeinern - bei 5km/h etwa das Vierfache wie bei einem anderen Säuger ähnlicher Größe.

Die Hinterbeine und ihre Gelenke mussten wegen der hohen Belastung beim Springen versteift werden, so dass extreme Richtungsänderungen während der schnellen Fortbewegung kaum bzw. gar eine Rückwärtsbewegung gar nicht möglich sind, was man an den Straßenrändern Australiens sieht. Gleichzeitig können die hinteren Extremitäten nicht unabhängig voneinander bewegt werden, wenigstens an Land, aber erstaunlicherweise ist das im Wasser beim Schwimmen möglich.

Zusätzlich ist die Größenbegrenzung dieser Tiergruppe bedeutsam, bei größeren Tieren wäre das Verhältnis zwischen "Nutzlast" und Masse der notwendigen Bewegungsmuskel unökonomisch. Ein Elefant kann eben nicht springen.

*Bei langsamer Fortbewegung dient der Schwanz quasi als fünftes Bein. Er wird benutzt, um die Hinterbeine gleichzeitig anzuheben und nach vorn setzen zu können (siehe Bild in der Mitte).

Fortpflanzung und Entwicklung bei Kängurus
Ernährung und Verdauung der Kängurus
Vorkommen und Verhalten von Kängurus
Andere Känguru-Arten: Euro, Felskänguru und Wallaby

Riesenkänguru, Gebrauch der Vorderfüße
Graues Riesenkänguru (Macopus giganteus = Eastern Grey Kangaroo) bei der Fellpflege, Warrumbungle NP